Sigrun Bergmann – Sportlerin mit Handicap
Sigrun Bergmann hat nach mehreren Schicksalsschlägen nur ein Bein und trotzdem bleibt Sport ein wesentlicher Teil ihres Lebens. Im Blog erzählt sie, warum ihr Sportsgeist trotz enormer Herausforderungen aufrecht ist und wie ihr unrealistische Ziele dabei helfen.
Du bezeichnest Sport als dein Lebenselixier. Was gibt dir sportliche Aktivität konkret?
Sehr viel! Sport ist ein wesentlicher Teil meiner Persönlichkeit und ein wichtiger Ausdruck von Lebensfreude. Ich mag aber auch den Wettbewerb, weil ich von Natur aus eine Kämpferin bin – einen Pokal nach Hause holen, darum geht’s mir. (lacht) Außerdem bietet Sport einen Ausgleich zum Alltag. In Summe: Ohne bin ich’s nicht!
Freude und Glück – das klingt schön. Du hast aber auch deine Gesundheit riskiert. Stimmt’s?
Ja, ich hatte ein kaputtes Knie und bin trotzdem Marathon gelaufen. Letztlich musste mein Knie operiert werden – eigentlich eine Standard-Operation. Doch damit fing meine gesundheitliche Misere an, weil bei der Operation ein multiresistenter Keim in meinen Körper gelangte.
Bald war klar, dass du den Oberschenkel des rechten Beins verlierst. Wie ging es dir damit?
Ich kann mich gut an den Tag erinnern, an dem ich bei meinem Bein mehr keine Muskel- und Nervenreaktionen spürte. Die Ärzte meinten, ich soll mich mit dem Gedanken einer Amputation vertraut machen. Zuerst habe ich alles theoretisch durchgespielt, dann erarbeitete ich Perspektiven. Dabei hat mir mein sportlicher Ehrgeiz geholfen, denn ich dachte: Ich verliere zwar ein Bein, bin aber den Keim los und gewinne ein gesundes Leben, in dem Sport wieder möglich ist.
Dein Sportsgeist war bei dieser Entscheidung ein Antrieb. Bist du nie in ein Loch gefallen?
Doch, natürlich. (seufzt) Das kam nach der Amputation. Mein Körper hat sich total gewehrt, meine Blutwerte waren eine Katastrophe. Ich war körperlich so schlecht beisammen, dass mich niemand im Krankenhaus besuchen durfte – nicht einmal meine Kinder. Dann kam der Tag, an dem ich zu einer Krankenschwester sagte, dass ich nicht mehr will und sie die Geräte abschalten soll.
Sehr verständlich, dass du total fertig warst – wann hast du wieder Lebensmut gefasst?
Die Krankenschwester hat richtig reagiert: mitfühlend und resolut zugleich. Nach dem Gespräch war es mir egal, dass mein Bein verloren war, mein Fokus lag in der Zukunft: Ich wollte Sport betreiben und einen Job. Wegen meiner zig Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte war ich in die Notstandshilfe gerutscht. Ich habe das Krankenhaus wegen der verpfuschten OP und dem Keim nie geklagt – das war ein Fehler, doch mir fehlte dafür einfach die Kraft…
Und dein Oberschenkel war verloren. Wie bist du mit dem Verlust zurechtgekommen?
Zuerst gut. Ich war mit einer Prothese versorgt und hatte einen Job in einem Sanitätshaus. Doch bald stellte sich heraus, dass der Keim immer noch im Körper war. Ich hatte eine Knochentransplantation und wieder mehrere Amputationen. Mein Bein schrumpfte zusehends. Doch ich ließ alles über mich ergehen und dachte: Das ist zu schaffen. Aber dann tat mir der Stumpf sehr weh und ich spürte, dass etwas nicht stimmt.
Der nächste Rückschlag mit einer verheerenden Diagnose… Was ging dir durch den Kopf?
Eine Radiologin teilte mir empathielos mit, dass ich Knochenkrebs habe – vermutlich eine Reaktion auf den Keim. Ich fuhr in die Arbeit, tat normal weiter, stand unter Schock. Dann teilte ich es doch dem Team mit. Als ich die Diagnose aussprach, ist alles unter mir zusammengebrochen… (hält inne) Ich wurde also wieder amputiert. Mittlerweile hatte mein Beinstumpf nur noch eine Länge von 20 Zentimetern. Das machte eine Prothesenversorgung schwer. Ich dachte mir aber: Ich lasse mir die Butter nicht vom Brot nehmen. Dann mache ich eben mit nur einem Bein meinen Sport.
Du musstest mehrmals um dein Leben kämpfen. Hast du dich nie gefragt: Warum ich?
Sicher! Ich wusste aber, dass ich auf diese Frage keine Antwort erhalte und habe sie deshalb in den Hintergrund gedrängt. Stattdessen wollte ich alles dafür geben, um meine Träume zu verwirklichen. Viele in meinem Umfeld meinten, ich soll lieber einen Gang herunterschalten. Das passt aber nicht zu mir, mein Zugang war immer: Auch mit nur einem Bein möchte ich mein Leben leben.
So viele Herausforderungen! Wieso hast du dann auch noch mit Sport-Charity begonnen?
Sehr viele Menschen glauben, dass man bei Sportaktivitäten mit nur einem Bein behindert ist. Doch oft ist es die Gesellschaft, die einen „behindert macht“. Ich möchte den Menschen zeigen, was alles möglich ist. Und dass es sich lohnt, nicht aufzugeben und weiterzukämpfen. Die Spendenläufe geben aber auch mir selbst sehr viel – zum Beispiel die Motivation, um durchzuhalten.
Für diese Spendenläufe gehst du oft über deine Grenzen. Was motiviert dich dabei?
Das Ziel! Es spornt mich an, über mich hinauszuwachsen – wie bei meinem bislang schwierigsten Spendenlauf: den Schöckl über die steilste Route mit nur einem Bein bezwingen. Als ich die Route das erste Mal begutachtete, dachte ich mir: Du Heiliger! Was hast du dir da vorgenommen! Doch mein Adrenalin funktioniert ganz gut – ich habe es geschafft! Solche Erlebnisse sind für mich sehr wichtig, weil sie das Vertrauen in meine Fähigkeiten stärken.
Deine sportlichen Ziele sind super schwer erreichbar. Was hast du gelernt, um sie zu erreichen?
(denkt nach) Dass man ein Ziel nicht zwingend alleine schaffen muss. Es ist wichtig, seine Grenzen zu kennen und anzunehmen. Dann kann man um Unterstützung fragen und diese Grenzen gemeinsam überschreiten. Als ich auf den Schöckl gelaufen bin, war mein Mann stets hinter mir und wenn ich in Gefahr war, abzurutschen, hat er mich gesichert. Alleine hätte ich es nicht geschafft.
Dein sportliches Leben ist von ehrgeizigen Zielen getragen. Sind sie eigentlich realistisch?
Nein, ich setze sie mir aber trotzdem. (lacht) Dabei erlebe ich natürlich Durchhänger. Mittlerweile erlaube ich sie mir aber, weil sie mir – so seltsam es klingt – beim Weiterkommen helfen. Von den vielen Sporteinheiten mit Krücken ist beispielsweise meine rechte Schulter ruiniert. Deshalb sitze ich derzeit öfters als sonst im Rollstuhl. Nur wenn ich mir das erlaube und meine Schulter in Ruhe heilen kann, erreiche ich mein nächstes Ziel.
Apropos: Ein ganz großes sportliches Ziel hast du dir noch gesetzt. Verrätst du es uns?
Unbedingt! Ich möchte wieder Badminton spielen, das war früher mein Lieblingssport. Wenn ich einen Schläger in der Hand halte, verbinde ich mich mit mir selbst und empfinde ein sehr starkes Glücksgefühl. Mit einem Bein funktioniert das aber nicht, deshalb wird gerade – als Sponsoring-Projekt – ein Badminton-Rollstuhl für mich konstruiert. Damit es klappt, muss sich auch meine kaputte Schulter regenerieren. Mein Kampf geht also weiter und das meine ich positiv.
Zu guter Letzt: Das Leben ist schön, steht auf deiner Website. Wo spürst du diese Wahrheit?
Es klingt paradox, aber die Schönheit des Lebens liegt für mich in der Anstrengung. Damit stärke ich das Vertrauen in meine Fähigkeiten. Und das wiederum hilft mir, viele Momente zu sammeln, an die ich mich gerne erinnere und für die sich der Aufwand lohnt. Die Schönheit des Lebens spüre ich aber auch in der Liebesbeziehung mit meinem Mann. Ich bin dankbar für alles Gute in meinem Leben!